„We have a small Mercedes collection.“. Die freundliche kleine Dame hätte es mir nicht sagen müssen, denn auf ihrer Jacke prangt gleich eine ganze Sammlung von Badges mit dem Stern. „We came all the way from Australia.“ Meine Güte. Aus Australien extra nach Essen zur Techno Classica. Da gehört einiges an Enthusiasmus dazu. Den hat man aber zwangsläufig, wenn man 15 Mercedes-Oberklasse Limousinen aus den Fünfzigern sein Eigen nennt. „Platz“, so die Dame freundlich in fließendem Australisch, „Platz haben wir in Australien ja genug für alte Autos. Aber Ihr habt es hier besser, weil Ihr von Land zu Land fahren könnt.“ Da hat sie Recht. Ich wünsche ihr noch viel Spaß und laufe mit rauchenden Füßen weiter zum nächsten Stand. Aber fangen wir von vorn an.
Europas größte Oldtimermesse platzte auch 2015 plangemäß wieder aus allen Nähten. Die Organisatoren konnten wohl nicht alle Anfragen nach Ausstellungsplätzen befriedigen, so dass kein Plätzchen zum Ausstellen mehr frei war. Größer muss aber jetzt auch nicht. Die pure Masse an Autos, Leuten und Ersatzteilen erschlägt nämlich auch den wanderfreudigsten Besucher. Die „TC“ ist einfach riesig. bzw. zu riesig. Immerhin hatte ich mir in diesem Jahr gleich zwei Tage komplett freigenommen (Danke Michael!), um ja nichts zu verpassen. Geholfen hat es nichts. Auch nach zwei Tagen hat man das Gefühl, nur winzige Teile dessen gesehen zu haben, was möglich ist. So habe ich auch in diesem Jahr mal wieder die Hallen mit den Clubständen ausfallen lassen müssen. Eigentlich schade.
Porsche 911 auf der Techno Classica – weniger als sonst?
Gehen die 911-Vorräte zur Neige? Wir erinnern uns an Unmengen lollipoppfarbener Porsche F-Modelle aller Baujahre in den vergangenen Jahren. 2015 schienen die Elfer-Reihen gelichtet. Das heißt natürlich nicht, dass der Elfer nicht an so ziemlich jedem dritten Stand irgendwie in Erscheinung trat. Doch containerweise wie in den Vorjahren gab es die boxenden Sechszylinder aus Zuffenhausen selbst bei den üblichen Verdächtigen nicht zu finden.
Porsche 356 als Lückenfüller
Porsche 356 aller Couleur haben in diesem Jahr scheinbar die Lücken gefüllt, was nicht despektierlich gemeint ist. Es waren schöne Exemplare dabei. Dabei auch seltente 356er à la 356 Carrera Cabriolet.
Den 356-Vogel abschießen konnte einmal mehr Andé Votteler, der gleich fünf (oder waren es sechs?) Porsche 356 Speedster auf seinem Stand anbot. Darunter schöne Exemplare im Originalzustand – soweit ich das beurteilen kann jedenfalls.
Porsche Preise
Und und und? Was war mit den Porsche Urelfer-Preisen 2015? Sind sie wieder gestiegen und wir alle sind reich, wenn wir unsere Elfer an eine böse Investorenheuschrecke verkaufen?
Viele, mit denen ich gesprochen habe, meinten eine erneute Preissteigerung zu spüren. Ich würde das eher differenziert betrachten. Mein Eindruck war, dass nur absolute Top Exemplare noch einmal einen enormen Sprung gemacht haben. Ein zugegeben guter 911 S von 1966 für knallharte 430.00,– EUR (Porsche Zentrum Potsdam) und ein weiterer 911 S aus prominentem Vorbesitz verkauft für über 500.000 EUR sind Ansagen für F-Modelle.
Die Preisschraube dreht sich nach wie vor bei allen SWB-Modellen, also den Porsche 911 bis ca. 1968. Davon profitieren die ganz frühen 64er und 65er sowie – Überraschung – ausgerechnet der Porsche Vierzylinder 912. Preise bis 80.000 EUR für einen 912 waren zu sehen und wurden bezahlt. Zum Beispiel für einen gut restaurierten orangen Porsche 912 Softwindow-Targa bei Auto Reiter aus der Steiermark. Der Wagen war bereits am Donnerstag verkauft. Einen guten 912 unter 40.000 Euro zu finden war schwierig, beziehungsweise unmöglich.
Grundsätzlich scheint die exponentielle Preisentwicklung bei den F-Modellen jedoch so langsam vorbeizusein. So war ein anständiges – wenn auch nicht perfektes 2.2 S Coupé in attraktivem Elfenbeinweiß im Zustand 2- für 165.000 EUR zu kriegen. Kein Schnapper – ganz bestimmt nicht. Aber auch weit weg von der gefürchteten „2“ vor den Nullen. Auch ein anständiger Porsche 911 S 2.4 Ölklappentarga stand für 165.000 EUR zum Verkauf. Teuer. Aber ebenfalls nicht ganz so teuer, wie manche Händler es uns über ihre mobile.de Anzeigen wahrmachen wollen.
Porsche Classic
Am Stand von Porsche Classic gab es in diesem Jahr wenig für Urelfer-Freunde zu finden. Das Schnittmodell des Porsche 959 war einen neugierigen Ingenieursblick wert. Und der ehemalige 959 des Scheiches von Katar überzeugte durch seine Tausendundeinenacht-Lackierung in nie gesehener Schrecklichkeit. Was müssen die in der Sonderwunschabteilung damals gelacht haben. Oder geweint.
Achso – es gibt die „Markenweltmeister“-Aufkleber für die hinteren 911 Seitenscheiben jetzt (endlich) auch von Porsche als Reproduktion. Für um die 9.00 EUR ein bezahlbarer Spaß mit Zuffenhausener Segen.
Dieses Baby ist verkauft
Zurück zu den Autos und ihren Verkäufern. „Verkauft“-Schilder fanden sich gerade an Zuffenhauser Produkten bereits am Pressetag (Mittwoch, 16.4.) eine ganze Menge. Die echten Geschäfte, so ein Händler mit Schwerpunkt 911/356, habe er eh am Aufbautag gemacht: „Wir haben schon beim Aufbau neun Autos verkauft.“ Das mag übertrieben sein. Oder auch nicht. Der Boom scheint ungebrochen. Und sein Lieblingskind heißt nach wie vor 911.
Auch andere Mütter…
Das Geld der Investoren (oder Fans…) sitzt nicht nur für Zuffenhausener Markensportwagen locker. So war der wunderschöne Lamborghini Miura bei „Weekend Heroes“ aus München (Halle 1a) bereits am Donnerstag Morgen verkauft. Preis: Deutlich über 1.000.000 EUR. Eine Stange Geld für ein zugegeben faszinierendes Auto in einer irren knallorangelben Farbe – hier ein Video: http://www.weekendheroes.com.
Wie geschnitten Brot „liefen“ auch Busse. Besonders natürlich die T1 Samba von VW. Da es da nicht mehr so viele von gibt, auch gern mal als Nachbau/Umbau. Preise: Kaum zu unterscheiden von den sportiven Kollegen aus Zuffenhausen. Dafür mit weniger PS und mehr Stauraum. Merke: Mann muss nicht rasen, um glücklich zu sein.
Meine Techno Classica-Favoriten 2015 waren eher exotisch: Der großartige Maserati Boomerang von 1972 stand zum Verkauf. Außerdem ein Miura Roadster (es gibt nur einen weltweit) in discoglimmerblau und mein All-Time-Favourite: Ein Bentley „Blue Train“ auf dem Bentley-Stand in der Volkswagen-Halle. Kleiner Wermutstropfen: Immer hat man zwei drei Millionen zu wenig in der Tasche.
Beste Firmenpräsentation
Den schönsten (und wahrscheinlich auch größten) Stand hatte (mal wieder) Mercedes organisiert. Autos mit Stromlinienkarosserie waren das Thema und da hat Mercedes so einige von gebaut. Eine tolle Präsentation mit Mut zu „Weniger ist mehr“ und (natürlich) tollen Mercedes-Autos aus über 100 Jahren.
Meine Favoriten bei den Stromlinien-Sternen: Der „Blitzen Benz“ – das erste benzingetriebene Auto, das die sagenhafte 200 km/h Marke im Jahr 1909 (!) knacken konnte. Angetrieben übrigens von einer Kette. Ein weiteres Highlight war der kürzlich neu aufgebaute „Mercedes 540 K Stromlinienwagen“ von 1938, den Mercedes auf Basis von Fotos vollständig neu in Aluminium gedengelt hat. Zum Niederknien schön.
Essen, trinken und die Worst-Dressed Awards
Das Preisniveau im Oldtimerbereich steigt stetig. Die Qualität des Essens auf der Techno Classica stagniert auf Pommesbuden-Niveau bei Preisen jenseits von G&B. Da muss man doch was dran machen können – oder? Und – ja, ich weiß, dass man durchaus auch auf höherem Niveau essen kann. Aber zwischen Hot-Dogs und Restaurant Schloss Hugenpoet ist noch ordentlich Platz für mehr Qualität. Vielleicht habe ich die richtigen Fressbuden auch nicht gefunden. Gibt es da eine App?
Vom Essen zu den Klamotten: Die „Worst Dressed“ Awards gingen aus meiner Sicht in diesem Jahr an die wenigen zwangsmitgeschleppten Ehefrauen oder Konkubinen. SM-Highheels, Tigerprint, aufvulkanisierte Leggings und nabeltiefe Ausschnitte. Anything goes, hatten sich die anwesenden Damen wohl gedacht und sich damit 2015 ganz schön verglööcklert. Stil ist anders. Und das fällt zwischen den Bentleys, Ferraris und Porsches dieser Welt irgendwie besonders auf.
Fazit
Die Messe läuft noch bis Sonntag! Also hingehen. Denn man kommt um die Techno Classica nicht rum. Sie ist und bleibt eine Veranstaltung an der andere Oldtimer-Veranstaltungen sich messen lassen müssen. Auch 2016. Bis dann!
Ihr, und wo ist der Film?
Ich bin bestimmt von 20 oder 30 TDM-Lesern auf der Messe angesprochen worden. Der Tenor war „weiter so“ und „wann gibt es mal wieder was Neues?“ Das hat mich sehr gefreut. Und daher gibt es jetzt auch schnell was Neues. Der Teil der Maschine Techno Classica Film 2015 ist morgen fertig. Es war schön, Euch kennengelernt zu haben!
Hinweis: Ich habe für den Besuch dieser Veranstaltung eine Pressekarte erhalten und bedanke mich dafür bei der SIHA, www.siha.de. Die Pressekarte hatte keinerlei Einfluss auf meine Berichterstattung.
Lieber Ansgar,
Danke für Ihren tollen Messebericht. Sie schreiben einem wirklich aus der Seele. Ich konnte mir am Samstag in Essen selber einen Bild zur aktuellen Lage verschaffen. Nach einem langen Tag mit platt gelaufenen Füssen sind wir mir den gleichen Eindrücken, die Sie so wunderbar beschreiben, nach Hause gefahren.
Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit und bleibe einfach mal am „Zeitgeschehen“ dran.
Mit besten Grüßen aus dem Rheinland auch lieber weise wieder an die Frau
Joachim
Hallo Joachim, herzlichen Dank für die netten Worte und Grüße an die Frau sind ausgerichtet!